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Märchenstunde zum Thema Rückenschmerzen

By 17. November 2019Dezember 11th, 2019Alle Themen, Krankheiten, Tipps für Patienten

Ein fantastisches Beispiel dafür, wie Arzneihersteller (Medikament will ich hier nicht sagen, mehr dazu später) ihre Kunden übers Ohr hauen wollen, fand ich neulich im Briefkasten: Das Werbeblatt »Einkauf aktuell« (ja, das mit der überflüssigen Plastikhülle) warnte auf dem Titelblatt vor dem Einsatz »klassischer Schmerzmittel« bei Rückenschmerzen, da diese ja »häufig durch geschädigte Nerven« verursacht würden und in diesem Fall von den üblichen Medikamenten keine Besserung zu erwarten sei. »Belegt« wurde diese These durch einen Auszug aus einer neurologischen Leitlinie zur Behandlung neuropathischer Schmerzen (hier geht’s zur Original-Leitlinie).

Sie ahnen es schon: Abgesehen von der zitierten Leitlinie ist der gesamte Inhalt der als Artikels aufgemachten Werbeanzeige für ein homöopathisches Präparat falsch.

Die Marketing-Abteilung des Herstellers hat tief in die Täuschungskiste gegriffen, ohne dass man – vom grundsätzlichen Streit um das Prinzip Homöopathie mal abgesehen – an einer Stelle wirklich gelogen hat. Trotzdem ist der gesamte Text eine Sammlung von Unrichtigkeiten, falschen Zusammenhängen und bloßen Behauptungen ohne jeglichen Nachweis. Hier ein paar Beispiele:

  • Rückenschmerzen sind mitnichten »häufig« Nervenschmerzen (d. h. eine Neuralgie), vielmehr ist die überwältigende Mehrheit (bis zu 90 %, nachzulesen hier) der Rückenschmerzen unspezifisch und hängt nicht mit einer geschädigten Nervenstruktur zusammen. Selbstverständlich gibt es auch Patienten, die von einer Nervenschädigung im Bereich der Wirbelsäule betroffen sind, aber diese sind – zum Glück – in der deutlichen Minderheit. Von 23 Millionen Neuralgie-Betroffenen, wie im Artikel angedeutet, kann also nicht die Rede sein (von 23 Millionen potentiellen Kunden für das Produkt schon eher …).
  • Die zitierte Leitlinie der Fachgesellschaft für Neurologie ist zwar echt, sie hat jedoch erst einmal nichts mit Rückenschmerzen zu tun – für diese halten die Fachgesellschaften eigene Leitlinien bereit, die sie hier nachlesen können und in denen so ziemlich das Gegenteil der in der Anzeige behaupteten »Erkenntnisse« steht (insbesondere was die medikamentöse Therapie angeht).
  • Der Begriff »5-fach-Wirkkomplex« erweckt beim unbedarften Leser den Eindruck, man habe es hier mit einem hochpotenten Medikament zu tun, das gleich an fünf verschiedenen Stellen der Schmerzentstehung angreift – auch hier ist eher das Gegenteil der Fall: Das beworbene homöopathische Präparat besteht aus einer Mischung hochverdünnter Pflanzenbestandteile, die laut »Arzneimittelbild« z. B. »am zentralen Nervensystem« ansetzen. Das ist Homöopathen-Deutsch und bedeutet aus ärztlicher Sicht rein gar nichts: Als »Arzneimittelbild« wird in der Homöopathie der spezifische Katalog von Wirkstoffen mit ihren mutmaßlichen Effekten bezeichnet; wissenschaftliche Nachweise hierfür existieren nicht und werden traditionell auch nicht erbracht. Spätestens bei unscharfen Formulierungen wie »setzt am Zentralen Nervensystem an« wird deutlich, dass hier nicht von einem Medikament mit nachgewiesenem Wirkmechanismus die Rede ist, sondern von einer suspekten Zubereitung, deren Wirkung bestenfalls in der Nutzung des Placebo-Effekts besteht.

Fazit: Lassen Sie sich nicht hinters Licht führen – gehen Sie bei Rückenschmerzen zum Arzt und lassen Sie sich dort nach den Leitlinien behandeln, die für dieses Krankheitsbild entwickelt wurden. Und vor allem: Trauen Sie keinem Präparat, das Ihnen die Lösung schwerwiegender Probleme verspricht und dabei behauptet, es habe »keine bekannten Neben- und Wechselwirkungen und schlägt auch nicht auf den Magen« …