Ich hatte bereits 2021 mal einen Beitrag zu diesem Thema veröffentlicht (siehe hier), da der Wunsch nach Krankengymnastik, Massagen usw. aber nach wie vor fast täglich in meiner Sprechstunde geäußert wird und ich in der Mehrzahl der Fälle leider kein entsprechendes Rezept ausstellen kann, fasse ich das hausärztliche Problem bei der Verordnung von derartigen Heilmitteln hier nochmal zusammen:
Oft sind Patient:innen enttäuscht oder verärgert, wenn ihnen bei orthopädischen Beschwerden wie Rückenschmerzen, Verspannungen etc. keine Krankengymnastik verordnet wird. Der Grund hierfür ist schlicht und ergreifend das liebe Geld.
Physiotherapie (also Krankengymnastik, Massage usw.) ist wegen ihrer vergleichsweise hohen Kosten eine von den Kostenträgern budgetierte Leistung. Das heißt: Ärzt:innen dürfen einen bestimmten Gesamtverordnungsbetrag pro Quartal nicht überschreiten, da sie sonst für die Mehrkosten selbst zur Kasse gebeten werden können (das nennt man Regress, ein Beispiel für die Folgen finden Sie auf der Website des Kollegen Dr. Lindenthal aus Hollen). Aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Praxisbetriebs ist es zudem unmöglich zu Beginn des Quartals abzuschätzen, wie viele Verordnungen bis zum Quartalsende anfallen könnten.
Überschreiten sie das Budget, können sich Ärzt:innen vor den Regresskosten nur schützen, wenn die Physiotherapie zu den Therapiemethoden gehört, die für das jeweilige Krankheitsbild in den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften unbedingt empfohlen werden. Da es derzeit jedoch für die gängigsten akuten Probleme wie Nacken- oder Rückenschmerzen ohne nachgewiesenen Wirbelsäulenschaden keine solche Empfehlung gibt, können Ärzt:innen im Regressfall nicht begründen, warum sie diese im Vergleich zu Medikamenten erheblich teurere Therapieform verordnet haben.
Um sich selbst vor dem finanziellen Risiko des Regresses zu schützen, gibt es für Ärzt:innen leider nur die Möglichkeit Physiotherapie so sparsam wie möglich zu verordnen. Genau das ist das Ziel der Krankenkassen, die aufgrund dieses den Patient:innen meist unbekannten Systems nicht selbst als Buhmann dastehen, sondern diese Rolle den Ärzt:innen überlassen, die ihre Patient:innen mit dem oft nachvollziehbaren Wunsch nach Physiotherapie immer wieder enttäuschen müssen.
Ein Rechenbeispiel (Preise Stand 07/2024):
- Diagnose: Rückenschmerzen durch Muskelverspannung
- 1 Packung Ibuprofen (50 St.) ca. 14 EUR
- Wärmflasche und Bewegung: kostenlos
- 6 x Physiotherapie: ca. 170 EUR
Die physiotherapeutische Behandlung kostet Ihre Krankenkasse im Vergleich zur empfohlenen Standardbehandlung mit Medikamenten mehr als das Zwölffache – da kann man sich gut vorstellen, dass von Seiten der Kostenträger wenig Interesse an einer solchen Verordnung besteht.
Sie sehen: Hinter der für Sie sicher enttäuschenden Tatsache, keine Verordnung für Physiotherapie zu bekommen, steht ein rein finanziell motiviertes Regulationssystem, das Ärzt:innen zwar auf dem Papier die Entscheidungsfreiheit über die gewählte Therapieform zugesteht, diese durch Androhung wirtschaftlicher Nachteile aber dennoch massiv beeinflusst.