»Ich hab schlimm Rücken!« – das ist sicher einer der häufigsten Sätze, mit denen man als Hausarzt konfrontiert wird. Neben Atemwegserkrankungen sind Rückenschmerzen, meist im Lendenbereich, oft jedoch auch in der Schulter-/Nackenregion, der häufigste Vorstellungsgrund in der Allgemeinpraxis.
Da fast jeder schon einmal akute Rückenschmerzen hatte (Wahrscheinlichkeit des Eintretens während der Lebenszeit nahezu 100 %), hat auch jeder etwas dazu zu sagen, und auch die Industrie wird nicht müde, die schmerzgebeugten Patienten mit immer neuen mehr oder weniger effektiven Mittelchen zu beglücken (einen Artikel zu den Auswüchsen finden Sie hier).
Eine solche Volkskrankheit beschäftigt natürlich auch die medizinische Forschung und produziert eine Menge Daten, aus denen sich Leitlinien ableiten lassen, in denen alle Therapiemöglichkeiten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bewertet werden.
Ich habe auf der Basis der aktuellen Leitlinie (gültig bis 30.12.2021) einmal zusammengestellt, welche Therapien bei akuten, nicht durch eine spezifische Strukturschädigung hervorgerufenen (das betrifft nach heutigem Kenntnisstand ca. 90 % aller akuten Patienten) Rückenschmerzen helfen und welche nicht empfohlen werden.
An erster Stelle der Behandlung akuter Rückenschmerzen stehen die geeignete medikamentöse Therapie und eine dem Beschwerdebild angepasste körperliche Aktivität – wer sich durch Ruhigstellung schont, leidet länger. Die Anzahl der in Frage kommenden Erstlinien-Medikamente ist recht überschaubar. Grundsätzlich ist eine orale Therapie zu bevorzugen; von den althergebrachten Injektionsbehandlungen wird mittlerweile ebenso wie von Salben und Gels abgeraten, da man bei deutlich höherem Nebenwirkungsrisiko keinen Vorteil gegenüber der Tabletteneinnahme erkennen konnte.
Medikamentöse Therapie akuter Rückenschmerzen
Diese Medikamente empfiehlt die Leitlinie:
- Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR, oral)
- Ibuprofen
- Diclofenac
- Naproxen
Diese Medikamente empfiehlt die Leitlinie nur unter bestimmten Bedingungen:
- COX-2-Hemmer (bei NSAR-Unverträglichkeit)
- Wirkstoffname mit Endung -coxib
- Muskelrelaxantien (nur, wenn Schmerzmittel alleine nicht ausreichend)
- Methocarbamol
- Orphenadrin
- Tizanidin
- Pridinolmesilat
- Metamizol
- Opioide (wenn NSAR nicht ausreichend wirksam)
- Capsaicinpflaster (zusammen mit anderen Maßnahmen)
Von diesen Medikamenten rät die Leitlinie ausdrücklich ab:
- Paracetamol
- Antiepileptika
- Pregabalin
- Gabapentin
- usw.
- Antidepressiva
- Flupirtin
- Kombination von Uridinmonophosphat, Vitamin B12 und Folsäure
- Teufelskralle
- NSAR als Salbe/Gel
- Alle Injektionsbehandlungen (»Quaddeln« usw.), unabhängig vom Wirkstoff
Bei unzureichendem Erfolg einer medikamentösen Therapie sind ggf. weitere Maßnahmen erforderlich. Allerdings gehört so manche der bei Patienten beliebten und oft nachgefragten Therapien wie Mobilisation (“Knochenbrecher”) oder Massage nicht oder nur mit Einschränkungen zum Empfehlungskatalog, da die Effektivität dieser Behandlungen hinsichtlich Schmerzlinderung und Mobilitätsverbesserung nicht eindeutig nachgewiesen ist.
Nichtmedikamentöse Therapie akuter Rückenschmerzen
Diese Maßnahmen empfiehlt die Leitlinie uneingeschränkt:
- Rehasport/Funktionstraining (bei wiederkehrenden Ereignissen)
- Verhaltenstherapie (bei wiederkehrenden Ereignissen)
Diese Maßnahmen empfiehlt die Leitlinie nur unter bestimmten Bedingungen:
- Akupunktur
- Wäremetherapie
- Bewegung und Bewegungstherapie
- Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation)
- Manuelle Therapie (Manipulation/Mobilisation)
- Rückenschule
Von diesen Maßnahmen rät die Leitlinie ausdrücklich ab:
- Bettruhe
- Ergotherapie
- Interferenzstromtherapie
- Kinesio-Taping
- Kurzwellendiathermie
- Lasertherapie
- Magnetfeldtherapie
- Massage
- Medizinische Hilfsmittel
- Perkutane elektrische Nervenstimulation (PENS)
- Kältetherapie
- Traktion mit Gerät
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)
- Therapeutischer Ultraschall
Für Sie als Patient ist diese Zusammenstellung in zweierlei Hinsicht interessant: Erstens können Sie so die vielen Empfehlungen, die man im Bekanntenkreis bei entsprechenden Beschwerden bekommt, auf ihre wissenschaftliche Anerkennung hin prüfen und so das eine oder andere »Wundermittel« als Zeit- und Geldverschwendung entlarven; zweitens bekommen Sie einen Eindruck, auf welcher Grundlage auch die Kostenträger entscheiden, welche Maßnahmen vom Arzt verordnet werden dürfen und welche nicht. Als alltägliches Beispiel sei hier die Massage genannt: Viele Patienten wünschen sich im Fall akuter Rückenschmerzen diese zweifelsohne wohltuenden Behandlung; aufgrund der negativen Bewertung hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit bei diesem Krankheitsbild gehört sie jedoch nicht zu den Therapien, die zu Lasten Ihrer Krankenversicherung verordnet werden können.